Versuchung

Wie sieht der Teufel aus? Entspricht er dem klassischen Bild des gehörnten roten Teufels, dem Lichtträger Luzifer, dem dämonischen Zwitterwesen Baphomet, dem Höllenfürsten Baal oder ist er unpersönlich und doch allgegenwärtig, die allgemeine, auf Erden vorherrschende Täuschung, von der der Hinduismus spricht: der Schleier der Maya?

Gegenwärtig wird intensiv daran gearbeitet, Satanisten als harmlose atheistische Gruppe darzustellen, die jedermann einlädt, an einer liebevollen Gemeinschaft von Verehren so schöner Dinge wie Freiheit, Wissenschaft, Furchtlosigkeit, Macht und Vergnügen teilzunehmen. Es werden satanistische Freizeitklubs für Schulkinder gegründet und man widmet sich Fragen der sozialen Gerechtigkeit. Wie bei jeder pyramidalen Struktur, man denke an Geheimbünde oder religiöse Sekten, dient die Mitgliedschaft oft als Fassade, um die dunklen Machenschaften und Lügen an der Führungsspitze zu verschleiern. Viele signalisieren durch ihre Sprache und Symbole, dass sie dazugehören. Sie wollen Macht oder Ruhm, sind zu allem bereit und der Versuchung längst erlegen. Sie gehen ihrem eigenen unbewältigten Trauma aus dem Weg und nutzen die Privilegien des satanischen Klubs als Ersatz für mangelnde Selbstachtung, während ihr Exhibitionismus immer „unanständiger“ wird. Sie geben ihn als Rebellion gegen das System aus und fördern ihn mit Unterstützung des Klubs, indem sie ihm eine Plattform bieten.

In meiner Kindheit wusste ich nichts davon, dass es so etwas wie Satanismus überhaupt gibt. Als Sexsklavin war ich von bösartigen Sadisten umgeben, die keine Gelegenheit ausließen, mich zutiefst zu demütigen und als Ware, zur Erpressung oder für andere Dinge zu benutzen.

Im Sommer 1972, als ich neun Jahre alt war, wurde ich in die USA zu meinem neuen Besitzer geflogen, der sich sichtlich freute, Zeit mit mir zu verbringen, derweil er die vielen Möglichkeiten auslotete, wie ich dem Netzwerk dienen und ihm persönlich eine Menge Geld einbringen könnte. Während dieser Sondierungen und des Trainings in seinem Haus, bei dem ich liebevolle Aufmerksamkeit, Erziehung und die Spiegelung bestimmter Aspekte meiner Persönlichkeit und meiner Talente erfuhr, die mir zuvor völlig unbekannt waren, konnte ich mich dank seiner Erkenntnisse emotional entwickeln. Er war eine Vaterfigur, wenn auch eine inzestuöse, die mich ungeniert mit kleinen weißen Pillen betäubte, um die gewünschten Ergebnisse zu erzielen. Dennoch fühlte ich mich besonders und war unfähig, seine Hintergedanken zu erahnen, als er mir die Sitten und Gebräuche der Elite beibrachte, wie man gemeinsam aß, einkaufte und Kunst betrachtete. In Verbindung mit dem Komfort seiner Häuser und der Schönheit seiner Ländereien war es, als ob die Erde wirklich das Paradies sein könnte.

Wir fuhren mit einer Hinckley–Segeljacht auf dem azurblauen Atlantik entlang der Nordostküste zu einer der Inseln, um einen Freund zu besuchen. Er war jünger als mein Besitzer, vielleicht in den Vierzigern, hatte gewelltes Haar, ein freundliches, zurückhaltendes Gesicht und große blaue Augen. Ich spürte, dass der Jüngere von beiden der Mächtigere war. Mein amerikanischer Besitzer, der in der Öffentlichkeit als Spross einer der mächtigsten Familien der Welt bekannt war, war offenbar innerhalb des Netzwerks nicht ganz so berühmt und musste erst eine Erlaubnis einholen, um die Person zu erschaffen, die ich werden sollte.

Während mein Besitzer immer Französisch mit mir sprach, unterhielten sich die beiden auf Englisch, sein Freund hatte einen ausgesprochen vornehmen britischen Akzent. Dem Amerikaner kam wohl nie in den Sinn, dass ich in der Lage wäre, Englisch zu verstehen, aber ich konnte es, weil ich im Fernsehen amerikanische Sendungen mit Untertiteln gesehen hatte. Wie immer verriet ich nicht mehr als unbedingt nötig; das war sicherer. Irgendwann sagte mein Besitzer zu seinem Freund, ich sei der Beweis dafür, dass Kinder perfekt für Sex mit Erwachsenen geeignet seien. Es habe mir ausgesprochen gut gefallen, sagte er. Es habe mich dermaßen angemacht. Ich sei ein so wildes Ding.

Ich war es gewohnt, jede Reaktion auf das, was ich im Netzwerk mitbekam, zu verbergen, und ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich mir etwas habe anmerken lassen, aber ich fühlte mich gekränkt. Nachdem ich seit meinem sechsten Lebensjahr als Sexsklavin benutzt und von ihm selbst im Rahmen eines Programms sexuell trainiert worden war, zu dem auch die Einnahme von Drogen gehörte, wie konnte er da seinen eigenen Worten glauben? Er sprach von mir wie von einem Objekt und ich spürte den Stachel der Demütigung. Ich bin mir heute darüber im Klaren, dass er ein häufig verwendetes Argument benutzte, um Pädophilie zu rechtfertigen: Zuerst setzt man ein Kind, das keine Wahl hat, einem Sexualisierungsprogramm für Erwachsene aus. Dann macht man sich den Starrezustand des traumatisierten Kindes zunutze, in dem der Körper Lust empfinden kann, und nimmt seine aus dem Trauma resultierende überlebenswichtige Reaktion mit Unterwürfigkeit als Beweis dafür, dass dem Kind die sexuelle Erfahrung gefallen, es folglich zugestimmt und sich sogar dafür entschieden habe.

Ich spürte die Augen des Freundes auf mir und als ich mich umdrehte, schien es, als ob er sich ohne Worte darüber im Klaren war, dass ich mich beleidigt fühlte. Normalerweise könnte es den Tod bedeuten, würde ich innerhalb des Netzwerks bei einem solchen Gedanken ertappt. Doch statt Angst zu haben, empfand ich die Situation eher so, als würde ich mit einem Verbündeten in Kontakt treten.

Wir hatten am Haus angedockt und außer uns dreien war niemand da. Der Freund lud mich zu einem Gespräch ein, nur er und ich. Wir saßen uns auf Salonstühlen gegenüber und ich fühlte mich unglaublich beruhigt.

„Ich bin Jude“, erzählte er. „Und für mich ist die Familie das Wichtigste.“

Die Atmosphäre war angenehm und ruhig. Er sprach auf Englisch und bestätigte damit, dass er wusste, dass ich meinen Besitzer verstanden hatte. Bis heute bin ich erstaunt, dass ich nicht die geringste Angst verspürte. Ich war dankbar, dass er von sich selbst sprach, denn das taten Männer aus dem Netzwerk normalerweise nicht.

„Du bist sehr intelligent. Intelligenz ist die Eigenschaft, die ich am meisten schätze.“

Ich bemerkte, dass er „ich schätze“ und nicht „wir“ sagte, und dachte, es sei eine subtile Anspielung auf meinen Besitzer, der meine Reaktion nicht bemerkt hatte und aus diesem Gespräch sowie aus diesem Raum ausgeschlossen worden war.

„Und du bist sehr schön.“

Wieder schätzte ich die Art und Weise, wie er seine Worte abwog, dass er eine Tatsache feststellte, ohne einen niederen Gedanken oder ein Verlangen zu verraten. Ich wusste, dass ich nie das hübscheste Mädchen war, dass ich aber durch den begehrlichen Blick meines Besitzers sinnlicher und schöner geworden war.

„Wenn du zu unserer Familie gehörst, wirst du stets in hohem Ansehen stehen.“

Damit hatte er gewissermaßen das Wesen meiner Persönlichkeit aufgedeckt. Obwohl ich zu Hause oder im Netzwerk nie Respekt bekommen hatte, wusste ich doch irgendwie immer, dass ich ihn verdiente, und insgeheim hatte ich den Tätern alle Demütigungen unmittelbar heimgezahlt, weil ich wusste, dass ihr niederträchtiges Verhalten ihren eigenen Mangel an Selbstachtung zeigte. Auch wenn sich viele Teile meiner Persönlichkeit gebildet hatten, um mit dem Missbrauch umzugehen; auch wenn sie nach außen hin alles taten, um die Bedürfnisse der Täter zu erfüllen – kein Täter hatte je bemerkt, dass ich mich beleidigt gefühlt hatte. Hier aber wurde mein tiefstes Geheimnis nicht nur erkannt, es wurde mir als Tugend gespiegelt und als Versprechen auf dem Silbertablett präsentiert. Ich hatte mich noch nie so verstanden und geschätzt gefühlt. Es war, als ob ich endlich angekommen wäre.

„Und du wirst große Bekanntheit erlangen. Du wirst auf den Titelseiten von Zeitschriften zu sehen sein. Die Presse wird immer in den höchsten Tönen von dir sprechen, deine Intelligenz und Schönheit feiern. Du wirst von Menschen umgeben sein, die dich verehren. Man wird dich immer beschützen.“

Er fuhr fort, meine Zukunft zu beschreiben. Mein amerikanischer Besitzer hatte mir gesagt, dass ich zu seiner Familie gehören und berühmt werden würde, aber das erschien mir unrealistisch; nichts davon war eingetroffen. Als ich in diesem schönen Salon mit diesem patenähnlichen Herrn saß, wirkte jedes Wort, das er sagte, jedes Versprechen, das er machte, wie eine Prophezeiung. Es war das erste Mal, dass ich mein zukünftiges Leben im Detail beschrieben hörte: der Glamour, die Wohnung in Paris, die Autos, das Haus an der Côte d'Azur, die Jacht.

„Aber“, warnte er, „wir haben Regeln. Wenn du Teil unserer Familie sein willst, musst du dich daran halten.“

Er ließ mich wissen, dass ich meinem Besitzer gehorchen müsse, wobei er seinen Vornamen benutzte, mich mit einem Hauch von Mitgefühl ansah und damit einmal mehr seine Überlegenheit sowie unsere tiefe Verbundenheit zeigte.

Im Film „Der Pate“ sollte jeder, der mit dem Paten spricht, Angst davor haben, wozu er fähig ist, falls man etwas Unangemessenes tut oder denkt. In meiner Situation als neunjähriges Mädchen, das wie eine Erwachsene behandelt wurde und jetzt bei einem über 40 Jahre alten Mann saß, hatte ich keine Angst. Vielmehr fühlte ich mich wie im Himmel. Wie schwer könnte es sein, meinem Besitzer zu gehorchen, wenn es möglich war, dass ich von diesem Paten voll und ganz als das erkannt und akzeptiert werde, was ich bin?

„Willst du Teil unserer Familie werden?“, fragte er.

Während einer langen Pause genoss ich die ruhige Atmosphäre. Die hellen, gedämpften Farben des Salons und das strahlende Sonnenlicht, das durch die Fenster strömte, waren alle Teil des vollkommenen Friedens, der sich wie ein sanftes Netz über den Raum gelegt hatte.

„Ja“, sagte ich.

„Kannst du sagen: ‚Ja, ich will‘?“, fragte er.

„Ja, ich will Teil deiner Familie sein“, antwortete ich.

Und so kam es, dass ich einem der mächtigsten Männer im satanischen Netzwerk, dem Paten und Vertreter Satans, mein Jawort – meinen Willen – gab.

Er nahm eine Schachtel mit Pralinen vom Beistelltisch und bot mir eine an. Ich wartete, bis auch er eine genommen hatte, und steckte sie mir in den Mund. Wir saßen beide da und lächelten uns milde an, während wir uns an den Pralinen erfreuten. Ein Anflug kindlicher Freude schwebte über seinem Gesicht. In dieser Nacht schlief ich in meinem eigenen, bequemen Bett in meinem eigenen Zimmer. Während des gesamten Besuchs wurde ich nicht sexuell berührt. Ich fühlte mich absolut sicher.

Allein aufgrund dieses Treffens entwickelte ich eine lebenslange Vorliebe für jüdische Familienväter, ein völlig unpassendes Zugehörigkeitsgefühl zum Netzwerk, ein verwandtschaftliches Verhältnis zu Schauspielern und Künstlern sowie eine Sucht nach Schokolade.

Es heißt, dass der Teufel ein Lügner von Anfang an war. Nie war ich so sehr versucht, den Lügen des Teufels zu glauben, wie während dieses Treffens. Obwohl ich beim anschließenden Gehirnwäschetraining wieder gefoltert wurde und man sagen kann, dass sexueller Missbrauch immer demütigend ist, fühlte ich mich nicht mehr gedemütigt. Die Gehirnwäsche hatte mich davon überzeugt, dass ich ein williger Teilnehmer war, und die Männer waren immer nett, bewunderten mich sogar.

Etwas weniger als ein Jahr nach meinem Treffen mit dem Paten wurde sein Versprechen gebrochen, als ich von einer berühmten Sängerin, die auch Schauspielerin war, und ihrem Ehemann entführt, missbraucht und zutiefst gedemütigt wurde. Wenn man bedenkt, dass es sich um eine Familie von Psychopathen und Sadisten handelt, ist es ein Wunder, dass es so lange gedauert hat. Als ich in einem leeren Büro in Monaco auf dem kratzigen Teppichboden saß, auf dem ich in der Nacht des Missbrauchs für ein paar Stunden geparkt worden war, dachte ich darüber nach, was für einen Sinn das alles hatte, wenn ich nicht einmal respektiert werde.

Dann wurde ich mit dem Hubschrauber zu einem großen Anwesen geflogen und musste eine schreckliche Tortur über mich ergehen lassen. Es war verwirrend: Das Schloss sah französisch aus, aber ich wurde von Betreuern angeschrien, die einen Cockney–Dialekt hatten. Zuerst wurde ich zum Opfer gemacht, dann wurde ich gezwungen, eine grausame Tat zu vollbringen, während mir gesagt wurde, dass ich immer die Oberhand behalten würde, dass ich am Ende immer der Sieger sein würde.

Im Laufe meines Heilungsprozesses erkannte ich, dass das Anwesen im Vereinigten Königreich der Familie dieses Paten gehörte. Offenbar hatte man sich ausgerechnet, dass die Sängerin/Schauspielerin, die mich regelwidrig missbraucht hatte und dann zum Paten eilte, um begnadigt zu werden, für das Netzwerk wertvoller war. Ich musste mich damit abfinden, dass ich von ein paar Handlangern schnell wieder auf Vordermann gebracht und ein wenig umprogrammiert wurde. Meine Persona hätte wenigstens eine Entschuldigung von der Sängerin/Schauspielerin gebraucht, die der Pate aus ihr hätte herauspressen sollen. Meine Persona wäre auch damit zufrieden gewesen, die Sängerin leiden zu sehen.

Ich wurde vom Teufel reingelegt. Das Böse, das immer parasitär ist, braucht echte Qualitäten und das Gute, um sich daran zu heften, um es nachzuahmen. Auch wenn ich die Lügen und gebrochenen Versprechen recht bald durchschaut habe, war die Täuschung bei diesem Treffen in dem schönen Salon so überzeugend, dass ich gut verstehe, wie Menschen dem Bösen auf den Leim gehen können. Die Stellvertreter des Teufels im Netzwerk spüren deine Schwachstelle auf – worin auch ich trainiert wurde – und nutzen sie, um dir genau das anzubieten, was dir in deinem Leben am meisten fehlt. Wenn einem die Erfüllung dieses legitimen emotionalen Bedürfnisses versprochen wird, fühlt man sich wie im Himmel – und genau in diesem Moment wird man vom Teufel betrogen.

Es ist leicht, sich die Entscheidung einfacher vorzustellen und sich für etwas Besseres zu halten, aber die Wahrheit ist, dass man keine Ahnung hat, was man selbst tun würde und ob man für das Netzwerk benutzt wird, solange man nicht mit dieser einen Sache, dem ganz persönlichen Köder, in Versuchung geführt worden ist.

Und diejenigen, die es bevorzugen, cool zu sein statt warm, die Cleveren, die versuchen, zur Familie zu gehören, die begeistert sind und Spaß daran haben, Teil des geheimen Clubs zu sein, die sich überlegen fühlen, weil sie Dinge bekommen, die andere nicht erhalten – sie geben jenen inneren Teilen der Persönlichkeit nach, die im Trauma, im unbefriedigten emotionalen Bedürfnis erstarrt sind, jenen Teilen, die danach streben, akzeptiert und geliebt zu werden, und glauben, bald am Ziel zu sein. Sie glauben die Lügen noch immer, verblendet durch Lug und Trug.

DeutschAnneke Lucas